Zum 01. Januar 2021 soll nun endgültig das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration gelten.
Nach langer kontroverser Diskussion wurde mit der Verabschiedung der Ferkelbetäubungssachkunde-Verordnung Landwirten die Möglichkeit eröffnet, bei Saugferkeln eine Inhalationsnarkose mit Isofluran durchzuführen.
Die zweite Option der Anästhesie, die Injektionsnarkose mit Azaperon und Ketamin, wurde deshalb sowohl von Landwirten, als auch von Tierärzten als wenig relevant angesehen. Gegen diese Methode wurden bestimmte medizinische Probleme und zusätzlich der so genannte Tierarztvorbehalt als Kostentreiber ins Feld geführt.
Nun, wo das Datum der Betäubungspflicht näher rückt, gibt es aber doch ein unerwartet hohes Interesse an der Injektionsnarkose zur Kastration der Ferkel.
Dieses könnte darin begründet sein, dass man die Betäubung als Übergangslösung betrachtet und vielleicht erwartet, dass sich längerfristig die Immunokastration oder Ebermast durchsetzt. Möglicherweise scheuen die Ferkelerzeuger auch den Aufwand der Schulung und Prüfung für die Erlaubnis zur eigenständigen Durchführung der Inhalationsnarkose. Des Weiteren sprechen Risiken der Isofluran-Exposition gegen dieses Verfahren!?
Die Schweinepraktiker werden nun vermehrt um Auskunft gebeten, was die Injektionsnarkose beim Ferkel, die ja ein Tierarzt vornehmen muss, kosten würde.
Um den Umfang der Preiskalkulation zu erfassen, sei der komplexe Ablauf einmal beschrieben:
- Terminierter Bestandsbesuch, Einhaltung hygienischer Vorgaben je nach betrieblicher Vorgaben (z.B. Einduschen usw.)
- Das wurfweise Sortieren der männlichen Ferkel in Kisten und gleichzeitig die Verabreichung des Schmerzmittels sollte rechtzeitig zum Termin durch den Landwirt erfolgen.
- Untersuchung der zu operierenden Ferkel incl. stichprobenhaftes Wiegen.
- Dosisfestlegung, (bei klinischen Erkrankungen ggf. anpassen der Dosis bzw. Verschieben der Kastration auf einen späteren Zeitpunkt) und Verabreichung des Injektionsnarkotikums
- Überwachung der Einschlafphase und Kontrolle der Narkosetiefe, ggf. Nachdosierung.
- Überwachung der Aufwachphase nach der Kastration, Anleitung für die angemessen temperierte und trockene Unterbringung)
- Dokumentation ggf auch von Narkosezwischenfällen, wichtig für die Rechtssicherheit der tierärztlichen Tätigkeit.
Anzumerken ist, dass die Narkose umso schneller eingeleitet werden kann, je besser der Tierhalter die Abläufe vorbereitet hat.
Die Kontrolle der Aufwachphase kann umso eher dem Landwirt überantwortet werden, je besser die Unterbringung (Lagerung, Temperierung) und Überwachung der narkotisierten Ferkel im Betrieb organisiert ist.
Die GOT ermöglicht unterschiedliche Abrechnungsverfahren der Injektionsnarkose:
1. Abrechnung gemäß GOT – Einzelverrichtungen (Einfachsatz)
(NSAID könnte vom Tierhalter verabreicht werden, dann ohne Leistungsberechnung)
2. Abrechnung mit Bestandsbetreuungsvertrag (Beispiel)
Tierärztliche Leistungen in Analogie zu GOT-Ziff 701 bis 705 als Zeitgebühr pro angefangene 15 Minuten à 22,33 € (Einfachsatz)
Zeitmessung beginnt mit Ankunft am Hof, beinhaltet somit auch Hygienemaßnahmen vor u. nach den Tätigkeiten
(NSAID könnte vom Tierhalter verabreicht werden, dann kein Anfall von Zeitgebühr)
3. Abrechnung mit Bestandsbetreuungsvertrag – Vereinbarung von pauschalen Einzelverrichtungsgebühren
Hierbei muss eine Angemessenheit der Pauschalgebühr im Verhältnis zu den GOT-Einfachsätzen der Einzelverrichtungen gewährleistet sein.
Dieses Modell kann nicht empfohlen werden, weil die Pauschalen beim Tierhalter keinerlei Anreiz wecken, durch gute Organisation und effektive Mithilfe den Aufwand des Tierarztes zu minimieren.
Gleichwohl kommt es von Seiten der Ferkelerzeuger vermehrt zur Aufforderung, gemäß dieses dritten Berechnungsmodells eine Pauschalgebühr pro Ferkel zu vereinbaren.
Die Tierhalter beziehen sich dabei in der Regel auf eine von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) und dem Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) verfassten Broschüre „Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration“.
Unter Berufung auf ein „Thünen Working Paper 110 (Verhaag u. Deblitz 2019)“ werden dort in einer Tabelle (S. 34) die Kosten der Injektionsnarkose im Vergleich von vier Bundesländern spezifiziert. Der Posten „Anwendung der Narkose durch den Veterinär“ wird mit 2,25 € pro männlichem Ferkel beziffert und zwar einheitlich in allen vier benannten Bundesländern bei völlig unterschiedlicher Struktur der Sauenhaltung. Zusätzlich werden Anfahrt, Verbrauchsmaterialien und Arzneimittel kalkuliert.
Der Betrag von 2,25 € pro Ferkel wird von den Landwirten somit den Hoftierärzten als Maßstab für die Berechnung der Injektionsnarkose bei männlichen Ferkeln vorgehalten!
Das Thünen-Institut, namentlich die Agrar-Ökonomen Verhaag und Deblitz, wurden von der Tierärztekammer Niedersachsen gebeten darzulegen, wie dieser Betrag ermittelt wurde, weil dieses aus dem Thünen Working Paper 110 nicht ersichtlich war. Nach mehreren teilweise kontroversen aber gleichwohl konstruktiven telefonischen und Mail-Diskussionen gab es dazu die folgende Erklärung
„Die Gebührenangabe von 2,25 € pro Ferkel für die Injektionsnarkose zur Kastration basiert auf einem Schätzwert bei Abrechnung nach Zeitgebühr (GOT-Ziff. 701 bis 705) im Einfachsatz. Der Betrag ist keinesfalls als Empfehlung für eine Abrechnung pro Ferkel-Injektionsnarkose zu verstehen. Der tatsächlich entstehende Zeitaufwand und die damit anfallenden Gebühren können je nach Betriebsstruktur (Größe, Management, Hilfskräfte, Hygienebedingungen, etc.) stark variieren“.
Ein Zeitkontingent von 1,5 Minuten für die Injektionsnarkose pro Ferkel erscheint eher unrealistisch, wenn Tierärzte ihrer Sorgfaltspflicht und Verantwortung in diesem Tätigkeitskomplex gerecht werden wollen.
Tierarztpraxen können somit im Gespräch mit ihren Tierhaltern die Notwendigkeit einer höheren als die in der Broschüre zugrunde gelegte Gebühr durchaus erklären.
Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, dass die vertragliche Vereinbarung einer Pauschalgebühr für die Injektionsnarkose bei Ferkeln nicht angeraten wird.
Eine vertragliche Vereinbarung mit einer Injektionsnarkose-Pauschale von 2,25 € pro Ferkel (zzgl. Verbrauchsmaterial und angewandte Tierarzneimittel) entspräche etwa 35 % des regulären GOT-Einfachsatzes und dürfte kaum als „angemessen“ gelten.
Die vertraglich vereinbarte Abrechnung nach Zeitgebühr (GOT-Ziffern 701 bis 705) ist ein faires Angebot für Tierarzt wie Ferkelerzeuger, wobei der Einfachsatz durchaus überschritten werden darf.